"Die Politik braucht eine klare Haltung, was sie will" - Mike im Interview mit der FNP

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Kurz vor seiner Wiederwahl spricht Planungsdezernent Mike Josef (SPD) über Erfolge und Misserfolge. Das Interview wurde am 24.01.22 in der FNP veröffentlicht.

Mike Josef ist Vorsitzender der SPD und damit einer der Köpfe der Koalition im Römer. Im Alter von 30 Jahren wurde er 2013 Parteichef, führte die SPD 2016 zurück in die Stadtregierung und übernahm das Dezernat für Planen und Wohnen, bis vorigen September auch für Bauen und seither für Sport. Der Diplom-Politologe wird zur Parteilinken gezählt und gilt konkurrenzlos als Nachfolgekandidat für Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), sollte dieser 2024 nicht zur Wiederwahl antreten. Voriges Jahr konnte Josef die Partei trotz starker Verluste bei der Kommunalwahl in eine neue Regierung unter grüner Führung und mit FDP und Volt bringen. Josef wurde in Syrien geboren, kam als Kind mit der wegen ihrer Religion verfolgten Familie nach Deutschland. Er wuchs in einer Trabantenstadt in Ulm auf, studierte dann in Frankfurt, die Hochschulpolitik führte ihn zu den Jungsozialisten und zur SPD. Mike Josef lebt mit seiner Frau und zwei Kindern (2, 5) in Höchst. Er wird morgen 39 Jahre alt. dpg/FOTOs: Enrico Sauda

Mike Josef ist seit bald sechs Jahren Dezernent für Planung und Bauen in Frankfurt, seit September auch für Sport. Diesen Donnerstag will die Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt den SPD-Parteichef für eine zweite Amtszeit wählen. Im Interview mit Redakteur Dennis Pfeiffer-Goldmann erklärt er seine Erfolge, was ihm nicht gelungen ist und was er als Nächstes vorhat.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Amtszeit, Herr Josef?

Gemeinsam haben wir viel erreicht, darum bin ich zufrieden. Wir stehen gut da als Stadt Frankfurt.

Welche waren Ihre drei wichtigsten Erfolge?

Bei den Baugenehmigungen und Baufertigstellungen haben wir so viel erreicht wie seit vielen Jahren nicht mehr. In fünf Jahren haben wir für mehr als 45 000 Menschen Wohnungen errichtet. Wir haben Wohnungen für knapp 60 000 Menschen genehmigt und Rahmenbedingungen geschaffen für weitere Stadtquartiere wie Nordöstlich der Anne-Frank-Siedlung, Siemens-Areal, Römerhof. Als Planungsdezernent ermögliche ich nicht nur Wohnungen, sondern auch Infrastruktur, und die denken wir gleich mit wie aktuell beim FAZ-Areal mit Schule und Kitas.

Zweiter Erfolg?

Wir haben mit dem Baulandbeschluss klare Rahmenbedingungen geschaffen für den bezahlbaren Wohnungsbau und eine nachhaltige Stadtentwicklung. Wir bekommen nun sogar die ersten Hochhäuser im Bankenviertel, in denen Wohnungen für Quadratmetermietpreise von 5,50 bis 10,50 Euro angeboten werden. Und wir haben den Mieterschutz gestärkt durch die Stabsstelle Mieterschutz sowie beispielsweise Milieuschutzverordnungen und den Mietenstopp der ABG.

Und drittens?

Die Entwicklung der Rechenzentren ist ein ziemlich neues Phänomen und wir haben ein Grundstück, das Neckermann-Areal, so positiv entwickelt, dass nun ein großes Denkmal erhalten, eine neue Form der Nutzung ermöglicht und ein Leerstand nach acht Jahren beendet werden. Das war ein Riesenerfolg. Dazu gehört auch, dass wir auf dem Avaya-Areal im Gallusviertel zum ersten Mal ein komplettes Quartier mit mehr als 1300 Wohnungen bekommen, das mit der Abwärme eines Rechenzentrums mit Heizwärme versorgt wird.

Bei welchem Thema wären Sie gerne weitergekommen?

Die Günthersburghöfe. Ich musste lernen: Wenn man Planungsprozesse für Baugebiete beginnt oder Planungen den Wünschen der Bürgerschaft anpasst, hat man trotzdem keine Sicherheit, zu guten Ergebnissen zu kommen - oder überhaupt zu Ergebnissen.

Wie sehr hat Sie geärgert, dass ausgerechnet die Grünen das Vorhaben gestoppt haben, obwohl es ja von ihnen selbst stammt?

Ich bin pragmatisch; ich erkenne Mehrheiten an, wie sie sind. Ja, die Planungen hatten wir übernommen und verbessert, hätten den Abenteuerspielplatz erhalten, mehr Grünzüge geschaffen, weniger Flächen versiegelt, ein autoarmes Quartier mit 70 Prozent bezahlbaren Wohnungen und neuen Mobilitätsformen realisiert, mit so vielen Grünflächen und Fassadenbegrünungen wie bei keinem Bebauungsplan vorher und einer ausgeklügelten Planung für grüne Dächer und Entwässerung. Wir haben völlig neue Beteiligungsformen ausprobiert und genutzt und die Menschen ohne jede Vorgabe gefragt: Was wünscht ihr euch?

Dennoch scheiterte es.

Es war fast egal, wie gut wir geplant hatten, es gibt eine grundsätzliche Ablehnung von verschiedenen Seiten. Hier sind mehrere Debatten konzentriert zusammengekommen: Wer baut in der Stadt? Wie verträglich sind Ökologie und die Weiterentwicklung der Stadt, Permakultur und Urban Gardening? Das war schon ernüchternd für mich, aber auch für die Verwaltung. Vor allem aber für alle Menschen, die dringend auf bezahlbare Wohnungen angewiesen sind.

Was lernen Sie daraus?

Wichtig ist, dass die Politik eine klare Haltung hat, was sie will und am Ende auch dazu steht.

Aus den Reihen der Günthersburghöfe-Gegner wurde oft populistisch und nicht immer mit korrekten Fakten gearbeitet. Wie sollte Politik damit umgehen?

Wir müssen zunächst einmal unsere Prioritäten klären: Brauchen wir mehr bezahlbare Wohnungen oder nicht? Es stehen über 10 000 Haushalte, also über 20 000 Menschen auf der Warteliste für eine geförderte Wohnung. Die Mieten vor allem im Neubau machen es Normalverdienern, Familien und jungen Leuten sehr schwer, in Frankfurt Fuß zu fassen. Viele dieser Menschen sind nicht so laut und artikulationsstark, aber sie haben auch ein Recht in unserer Stadt zu leben. Und bezahlbare Wohnungen entstehen nicht von alleine, sie müssen gebaut werden. Politik muss das direkter kommunizieren und informieren. Natürlich muss man den Mehrwert einer solchen Entwicklung deutlich machen - Wohnungen, Schulen, Freiflächen, neues Leben. Die meisten Frankfurter leben in Neubaugebieten, die in den vergangenen 130 Jahren entstanden sind. Das müssen wir uns immer vor Augen halten. Stadt weiterzuentwickeln ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Wann erleben wir zum ersten Mal die intensivere Kommunikation?

Die haben wir, wie gesagt, schon erlebt und ich setze weiter auf Beteiligung und Dialog, wie beim neuen Stadtteil. Aber Politik muss auch führen und entscheiden.

Wann werden die ersten Menschen in der Josefstadt einziehen?

Wenn alle Rahmenbedingungen stimmen, ist es ein Projekt für die nächsten zehn Jahre. Wir haben einen Entwurf, der sehr stark von den Naturräumen und Freiflächen her geplant ist. Dort sollen bezahlbare Wohnungen, autoarme Quartiere, neue Mobilitätsformen und auch 4000 Arbeitsplätze entstehen. Das kann eine runde Sache werden.

Was machen Sie, um die Menschen vom Nordweststadtteil zu überzeugen?

Fast jeden Schritt, den wir gegangen sind, haben wir vor Ort auch dargelegt. Wir haben auch Fachleute eingebunden über das Consilium, die ebenfalls in die Öffentlichkeit wirken und darlegen, welche Vorteile es gibt. Und so arbeiten wir auch weiter. Wir brauchen aber ein klares Commitment der Politik. Noch mal: Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Der neue Stadtteil kann die Stadt und die Region entlasten. Ein Projekt dieser Dimension hatten wir in den vergangenen 30, 40 Jahren nicht mehr.

Warum muss ein Stadtteil an dieser Stelle entstehen? Der Planungsverband hat einen Stadtteil am Main-Taunus-Zentrum vorgeschlagen, Sulzbach macht das nun. Eine Fläche zwischen Bergen-Enkheim und Niederdorfelden wird auch genannt.

Das eine widerspricht dem anderen nicht. Wir haben daher im Integrierten Stadtentwicklungskonzept alle Flächen aufgeführt, die die Stadt in Zukunft nutzen könnte. Der Standort im Nordwesten hat einen entscheidenden Vorteil: Wir haben beim ÖPNV eine Infrastruktur, auf die wir aufbauen. Dort gibt es schon die S-Bahn. Die Regionaltangente West und die U7-Verlängerung sind in Planung.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie auch die Grünen in der neuen Römerkoalition überzeugen können?

Was ich in der neuen Koalition schätze, ist, dass es eine neue politische Kultur im Umgang gibt: Es geht ums Ermöglichen und nicht ums Verhindern. Es ist ganz natürlich bei großen, komplexen Themen, dass Fragen aufkommen und beantwortet werden müssen. Mit dem Entwurf mit sehr viel Grün, mit bezahlbaren Wohnungen, autoarmen Quartieren und dem ÖPNV bin ich zuversichtlich, dass auch die Erkenntnis wächst, dass wir einen solchen Stadtteil gemeinsam positiv entwickeln.

Inwiefern gilt das auch für neue Gewerbeflächen? Weil große, zusammenhängende Areale fehlen, verlassen ja schon Firmen wie Samson oder Fermont die Stadt.

Es ist ein Erfolg und notwendig gewesen, dass wir mit dem Gewerbeflächen-Entwicklungsprogramm erstmals strukturell Gewerbeflächen gesichert haben. Es kann nicht sein, dass Gewerbegebiete volllaufen mit Nutzungen, die wir dort nicht wollen, wie Spielhallen oder Shisha-Bars.

Aber es fehlen große, zusammenhängende Flächen.

Wir haben verfügbare Flächen, durchaus auch größere. Wir haben uns in der Koalition für Innen- vor Außenentwicklung entschieden. Wir schaffen aktuell zum Beispiel Flächen durch die Transformation im Industriepark Griesheim. Bei Firmen, die angefragt haben, haben wir schnell Antworten gefunden, zusammen mit dem Wirtschaftsdezernat - nicht von ungefähr sind in zehn Jahren zusätzlich 100 000 Arbeitsplätze in Frankfurt entstanden.

Nun stemmen sich die Grünen gegen das Versiegeln von Grünflächen, egal ob in der Stadt oder am Stadtrand. Wie schwierig ist es da, zu Lösungen zu kommen?

In der Koalition werden gute Diskussionen geführt mit berechtigten Fragen in Zeiten des Klimawandels. Die Metropolregion ist mit ihren kurzen Wegen bereits eine Antwort darauf: Kurze Wege sind ökologisch, wenn ich wohnortnah arbeite oder arbeitsplatznah wohne.

Sie erwähnten Ihre Erfolge beim Wohnungsbau. Nun sinkt aber die Zahl der Bauanträge laut Bauaufsicht seit 2017 beständig, es kommen also weniger künftige Wohnungen in die Pipeline. Woran liegt das?

Die Zahl der Bauanträge sagt nur bedingt etwas über die Zahl der künftig gebauten Wohnungen aus. Sie ist wenig repräsentativ und zeigt keinen langfristigen Trend. Denn sie umfasst einerseits auch gewerbliche Bauten, andererseits kann hinter einem einzigen Bauantrag ein Projekt mit Hunderten von Wohnungen stehen. Außerdem sind gewisse Schwankungen normal. 2018 hatten wir bei den Baugenehmigungen einen Rekord. Und die Durchschnittswerte der letzten Jahre sind weiterhin stabil hoch. Als ich Planungsdezernent wurde, hieß es: Wenn wir 6000 Wohnungen im Jahr genehmigen, schaffen wir langfristig Entlastung. Wir haben jetzt in fünf Jahren fast 30 000 Wohnungen genehmigt. Bei den Baufertigstellungen haben wir seit vier, fünf Jahren Rekordzahlen.

Wie ist es mit den Bauanträgen, also dem, was in Zukunft gebaut werden kann?

Um weiterhin Bauanträge zu ermöglichen, hatten wir allein im letzten Jahr fünf Satzungsbeschlüsse für mehrere tausend Wohnungen: Sandelmühle, Rebstock, Siemens-Areal, An der Weinstraße, Mercedes-Areal. Ich bin da gelassen.

Wie sehr bremst fehlendes Bauland Investoren aus?

Wir haben ja Bauland, das wir entwickeln. In der Stadtentwicklung merkt man Ergebnisse immer zeitversetzt. Heute wird das realisiert, wofür vor 15 Jahren die Grundlagen gelegt wurden. In den 2000er-Jahren hat das Thema Wohnbauland einfach keine Rolle gespielt. Man ging davon aus, dass die Einwohnerzahl stagniert, sie ist aber gestiegen. Mit Konversionsflächen wie FAZ-Areal und Lurgi-Areal, Nachverdichtung wie in der Platen- und der Fritz-Kissel-Siedlung oder dem neuen Stadtteil steuern wir gegen.

Bremst der Baulandbeschluss nicht auch stark?

Mit dem Baulandbeschluss haben wir klare Rahmenbedingungen geschaffen. Mit dem Baurecht schaffen wir die hohen Werte ja erst, und ich bin davon überzeugt, dass die Menschen in unserer Stadt davon auch profitieren sollten. Ohne städtische Leistungen würden die Bodenwertgewinne gar nicht entstehen, da ist es nur recht und billig, einen Teil dieser Gewinne für den Bau von Schulen, Kitas, Parks und einer guten soziale Infrastruktur zu investieren. So ist das Baurecht auch gedacht, es sieht das vor. Wir brauchen den bezahlbaren Wohnungsbau, den wir mit dem Baulandbeschluss garantieren.

Wie gefährlich ist es, wenn 80 Prozent der Immobilieneigentümer nicht mehr in der Stadt investieren wollen?

Diese Zahlen basieren auf einer Umfrage von Haus & Grund unter Kleinvermietern. Allerdings gelten die Vorgaben des Baulandbeschlusses erst ab einem Schwellenwert von 30 Wohnungen - also weit über dem, was diese Einzeleigentümer in der Regel realisieren. Sie sind also von dieser Regelung gar nicht betroffen.

Die Stadt macht bei großen Vorhaben 70 Prozent Vorgaben, die restlichen 30 Prozent der Wohnungen müssen alles refinanzieren. So entstehen eigentlich nur Sozial- und Luxuswohnungen. Wieso lässt die Stadt die Normalverdiener hängen?

Wenn man über geförderten Wohnungsbau redet, reden alle meist nur über den sozialen Wohnungsbau. Das ist eine Herausforderung in der Kommunikation. Wir schaffen aber nicht nur 30 Prozent Sozialwohnungen, sondern auch für mittlere Einkommensgrenzen, hier liegt die Einkommensgrenze für eine Familie mit zwei Kindern bei 84 000 Euro. Das ist kein sozialer Wohnungsbau, das ist Wohnungsbau für Normalverdiener. Darauf zielen auch die Vorgaben für genossenschaftliche Wohnungen.

Welches ist Ihr zentrales Ziel für die nächste Amtszeit?

Ich lebe seit fast 20 Jahren in Frankfurt und bin dankbar für vieles, was ich hier schaffen konnte. In Frankfurt habe ich mich nie fremd gefühlt, das finde ich so toll in dieser Stadt. Ich will die Stadt so weiterentwickeln, dass wir die Klimaziele einhalten, dass Menschen nicht verdrängt werden, dass wir Baukultur schaffen und mehr Sport und Bewegung ermöglichen, dass wir auch wieder Lust kriegen auf Veränderung, weil Veränderungen zum Guten führen können, wenn wir sie zusammen planen.

Wir müssen unsere Prioritäten klären: Brauchen wir mehr bezahlbare Wohnungen oder nicht?