Kaweh Mansoori (MdB) im FNP Interview zu Koalitionsverhandlungen

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Der Frankfurter SPD Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori über stilvolle Ampel-Verhandlungen, hohe Ziele und die Sorgen wegen Corona im Gespräch mit der FNP

"Wir kamen aus ganz unterschiedlichen Denkschulen und waren häufig nicht einer Meinung. Trotzdem haben wir gute Lösungen gefunden." Beflügelt blickt der neue Frankfurter Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori (SPD) auf die Koalitionsverhandlungen in seiner Gruppe zurück. Die war zuständig für die Themen Demokratieförderung, Vielfalt, Gerechtigkeit. Mansoori ist überzeugt: Die Debatten dort können stilprägend für eine konstruktive Debattenkultur in der Regierung werden.FOTO: photothek.net

 

Kaweh Mansoori (33) ist Rechtsanwalt und trat kurz vor der Landtagswahl 2008 in die SPD ein. 2018 wurde er Vorsitzender der Jusos Hessen. Seit 2019 ist Mansoori als Nachfolger von Gernot Grumbach Vorsitzender des SPD-Bezirks Hessen-Süd. Bei der Bundestagswahl trat er im Landkreis Frankfurt II an und zog über die Landesliste in den Bundestag ein. Redakteur Thomas J. Schmidt hat sich mit ihm über die neue Koalition unterhalten.

Herr Mansoori, Sie sind neu im Bundestag und kamen gleich in eine der Verhandlungsrunden zur Ampel.

Das war mir Ehre und Freude, diese Verantwortung zu tragen. Ich habe meinen Teil leisten können, um etwas zu erreichen - für Millionen von Menschen und für diese neue Koalition.

Womit hat sich Ihre Verhandlungsrunde beschäftigt?

Es ging um die Themen Demokratieförderung, Vielfalt und Gleichstellung. Frauenrechte werden gestärkt. Zum Beispiel wird Paragraf 219 a im Strafgesetzbuch abgeschafft. Dies war ja eine Diskussion, die auch in Frankfurt geführt wurde, als eine Ärztin aufgrund von Informationen für den Schwangerschaftsabbruch verurteilt worden war.

Was kann ich unter Vielfalt verstehen?

Unterschiedliche Lebensweisen bekommen den Respekt und die Anerkennung, die sie verdienen. Deutschland bekennt sich endlich als Einwanderungsland. Es ist auch eine Anerkennung für Menschen wie meine Eltern, die den Wohlstand dieses Landes mit erwirtschaftet haben. Wir wollen ihre Einbürgerung erleichtern und die Partizipation ausbauen. Niemand soll sich als Bürger zweiter Klasse fühlen.

Aber es gibt doch schon eine erleichterte Einbürgerung seit der rot-grünen Regierung Schröder / Fischer.

Ja, aber die Fristen sind deutlich zu lange, und die Mehrstaatlichkeit fehlt. Man wird künftig nicht mehr seine alte Staatsbürgerschaft ablegen müssen, wenn man deutscher Staatsbürger werden will.

Kann das nicht Konflikte geben? Ich denke an die Türken, die auf unseren Straßen für Erdogan demonstriert haben. Ich möchte diese Leute nicht unbedingt als Bürger meines Landes ansehen müssen.

Das Bekenntnis zu unserer Verfassung und unseren Werten und Mehrstaatlichkeit schließen sich nicht aus. Den Menschen, die hier leben, die Tür zuzuschlagen, vergrößert die Gefahr von Parallelgesellschaften.

Aber die Parallelgesellschaften haben wir doch ohnehin, denken Sie an die Araber-Clans, denken Sie an die Zustände in Duisburg ...

Eine vielfältige Gesellschaft lässt sich doch nicht unter Hinweis auf kriminelle Clan-Strukturen ablehnen. Damit tun Sie Millionen Menschen Unrecht, die hier Steuern zahlen, anständige Kinder großziehen und gute Nachbarn sind. Manche wollen aus persönlichen Gründen ihre Staatsbürgerschaft nicht aufgeben. Wir sollten ihnen trotzdem die Teilhabe an der deutschen Gesellschaft, in der sie leben, mit vollen Rechten zuerkennen.

Das dritte Thema in Ihrer Verhandlungsgruppe war Demokratieförderung. Was ist darunter zu verstehen?

Demokratie braucht demokratische Akteure. Am Beispiel von Attac hat man gesehen, wie problematisch das Gemeinnützigkeitsrecht ist, wenn man sich als gemeinnützige Organisation nicht politisch eindeutig äußern darf. Wir werden das Gemeinnützigkeitsrecht ändern. Außerdem wird es ein Demokratiefördergesetz geben, um etwa Aussteigerprogramme und Extremismusbekämpfung zu erleichtern.

Was sagen Sie zum Personal? Zur Ministerriege?

Ich weiß nicht mehr als Sie. Ich weiß nicht, wer nominiert wird, ich weiß von meiner eigenen Partei noch weniger als von den anderen Parteien. Aber wenn ich bilanzieren darf, was ich weiß: Es gab in den Verhandlungen - nicht nur in meiner eigenen Runde - eine unglaubliche Offenheit für gute Argumente, gerade wenn sie nicht aus der eigenen Partei kamen. Die Teilnehmenden kamen aus ganz unterschiedlichen Denkschulen und waren häufig nicht einer Meinung. Trotzdem haben wir gute Lösungen gefunden. In der aufgeheizten Debattenlage liegt in diesem Stil eine Chance für das Land. Das zieht sich durch den gesamten Koalitionstext. Keiner ist untergebuttert worden. Alle drei Parteien können es als Fortschritt für das Land betrachten.

Da steht jetzt aber noch die Abstimmung der Parteimitglieder vor. Sehen Sie da Schwierigkeiten?

Ich rechne mit großer Zustimmung bei allen Parteien. Jeder hat seine Themen im Koalitionsvertrag. Die SPD ist sichtbar mit mehr Respekt, sozialer Gerechtigkeit - Rentensicherheit und die Erhöhung des Mindestlohns. Für die FDP ging es um Freiheit, Innovation und Technikoffenheit, für die Grünen um den Klimaschutz. Aber lassen sie mich sagen, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, ist uns allen ein zentrales Anliegen.

Wie kriegt man den Klimaschutz hin?

Das ist genau die Frage. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Wir wollen einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, indem wir das Planungsrecht vereinfachen und beschleunigen. Wir wollen die Wasserstofftechnologie stärken. Das Ziel sind 15 Millionen Elektroautos bis 2030, weil auch der Verkehr klimafreundlicher werden muss. Dabei kommt der Vernetzung von Strom, Wärme und Verkehr eine Schlüsselrolle zu.

Aber da ist das Problem ja nicht die Zahl der Windräder, das Problem ist der gigantische Speicherbedarf saisonal. Wir brauchen Tausende, wenn nicht Zehntausende von Pumpspeicheranlagen - was schlicht nicht möglich ist -, und wir haben nur etwa 30. Wie wollen Sie das lösen?

Wenn wir das hinkriegen wollen, dann müssen wir Strom und Wärme, Strom und Mobilität zusammendenken. Die Auto-Akkus können als Speicher dienen, und wir brauchen die Wasserstofftechnologie. Wir brauchen einen Mix der Maßnahmen, um aus den fossilen Energieträgern herauszukommen.

Wie ernst nimmt die neue Regierung Corona?

Sehr, sehr ernst. Die Situation in den Krankenhäusern ist besorgniserregend. Es war noch nie so ernst. Die Änderungen am Infektionsschutzgesetz haben schon 3G am Arbeitsplatz und 3G in öffentlichen Verkehrsmitteln ermöglicht. Die Bürgertests sind wieder kostenlos. Corona hat oberste Priorität!

Eine Frage ist noch offen: Angesichts der vielen Vorhaben und angesichts der Tatsache, dass Sie weder die Schuldenbremse lösen, noch die Steuern erhöhen wollen: Wer soll das alles bezahlen?

Die neue Steuerschätzung zeigt, dass die Staatseinnahmen steigen. Investieren und solide haushalten ist möglich. Trotzdem müssen wir Prioritäten setzen bei unseren Vorhaben. Ich hätte mir, das darf ich sagen, auch eine gerechtere Steuerpolitik vorstellen können. Aber wir waren drei Partner, und alle müssen zustimmen.

Wo liegt Ihre Priorität?

Mir ist wichtig, dass der soziale Zusammenhalt stimmt und dass die Lebensleistung der Menschen respektiert wird. Mir ist wichtig, dass der Mindestlohn auf zwölf Euro steigt und damit zehn Millionen Menschen eine Gehaltserhöhung erhalten. Mir ist wichtig, dass sich der Sozialstaat auf die Veränderungen in der Arbeitsgesellschaft einstellt: Weiterbildung erleichtert, eine bessere Verbindung von Familie und Beruf schafft und den Menschen Respekt zollt und Sicherheit bietet. Mit der neuen Koalition macht der Sozialstaat alles, um die Leute in Arbeit zu halten.



Das Interview erschien in der Frankfurter Neue Presse am 26.11.2021, Seite 10