Mehr Diversität in Parlamenten – der Beginn eines Prozesses

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Am 26. Oktober 2021 konstituierte sich der 20. Deutsche Bundestag. Neue Abgeordnete – neues Glück. Und so kam es auch. Zum ersten Mal sitzen zwei trans-Politikerinnen im Bundestag. Mehr Frauen, jüngere Menschen und Menschen mit einer Migrationsgeschichte. 83 Abgeordnete haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Das klingt erstmal gut. Bei 736 Abgeordneten sind es jedoch nur etwa 11 Prozent. Das trübt die Freude etwas. Auch dieser Bundestag wird die Gesellschaft also nicht in ihrer Diversität repräsentieren. Dennoch: Es ist der wichtige Beginn eines langen Prozesses.

Beinahe jede vierte Person, die in Deutschland lebt, hat eine eigene oder familiäre Migrationsgeschichte. In Frankfurt ist es sogar jede zweite Person. Ein Blick auf die Zusammensetzung des Bundestags, der Landtage oder auch der Frankfurter Stadtveordnetenversammlung zeigt allerdings: Die gesellschaftliche Diversität spiegelt sich politisch nicht wieder – auch nicht in der SPD.

Ein kurzer Faktencheck:

  • Im Bundestag sitzen insgesamt 736 Abgeordnete. Davon 83 Parlamentarier:innen mit sog. Migrationsgeschichte. Das sind 11,3 Prozent – zu 25 % in der gesamten Bevölkerung.
  • Um die Landesparlamente steht es noch schlechter. Im Hessischen Landtag liegt der Anteil an Abgeordneten mit Migrationsgeschichte bei 6,4 Prozent – zu 34 % in der hessischen Bevölkerung.
  • Den letzten Platz belegen Kommunalparlamente – mit durchschnittlich 4 Prozent. Frankfurt hat hier schon einiges geleistet und liegt mit 22 % deutlich über dem miserablen Bundesdurchschnitt. Doch auch im Vergleich zur eigenen Stadtbevölkerung besteht hier noch Verbesserungspotential.

Um die Regierungsebenen steht es ganz schlecht. So verhandelten SPD, Grüne und FDP in den letzten Monaten um die Minister:innenposten. Nach zähen Gesprächen wurden Ministerien besetzt. Parteizugehörigkeit, Frauen und Männer, Ost und West sollten bedacht werden. Lange schien es, dass es ein Kabinett der Olafs und Annalenas wird. Keine Person, die Menschen aus Einwandererfamilien repräsentiert. Schließlich wurde Cem Özdemir doch nominiert – und auch auf Ebene der Staatssekretär:innen nominierte die SPD die Genossin Reem Alabali-Radovan und Mahmut Özdemir sowie Aydan Özoğuz als Bundestagsvizepräsidentin. Vier Personen in einem Kreis von Minister:innen, Staatssekretär:innen und Präsidium von fast 40.

Doch was passiert, wenn es Menschen mit Migrationsgeschichte in Parlamente oder Parteien schaffen?

Wir müssen nicht das Thema Integration / Migration bespielen!

Politiker:innen mit Migrationsgeschichte wird sofort der Politikbereich Migration / Integration zugeschrieben. Das ist aus mehreren Gründen falsch. Es reduziert Menschen auf ein zugeschriebenes Merkmal und spricht ihnen ab, Expertise für andere Felder innezuhaben. Dennoch haben die meisten Politiker:innen mit Migrationsgeschichte eines gemeinsam: Sie können ihre Erfahrungen mit Marginalisierung und Diskriminierung in politische Prozesse einbinden und diese dadurch verändern.

Repräsentation ist nicht gleich Repräsentation

Gestiegene Repräsentation heißt jedoch nicht, dass wir kein Problem mehr mit Diskriminierung haben. Eine rein zahlenmäßige Repräsentation von Abgeordneten mit Migrationsgeschichte ist nur der erste Schritt. Parteien, die schließlich ihre eigenen Listen aufstellen, müssen in die Pflicht genommen werden, Menschen mit Migrationsgeschichte politische Teilhabe gleichermaßen zu ermöglichen, wie Menschen ohne Migrationsgeschichte. Eine Quotenregelung ist dabei nur ein erster Schritt, um dann in einem zweiten Schritt auch konkrete Politik für marginalisierte Gruppen zu machen, Strukturen zu verändern und Teilhabe zu ermöglichen. Und: Sie dürfen Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. Der Kampf gegen Rassismus muss auch ein Kampf gegen Sexismus, gegen Antisemitismus, gegen Homo- und Transfeindschaft sein. Unsere Politik muss eine Politik für die gleichberechtigte Teilhabe aller Gruppen sein.

 

Diversitätsorientierte Öffnung der SPD?

In den letzten Jahren zeichnet sich langsam eine erhöhte Sensibilität für Diversität auf – und damit verbunden ein Bewusstsein dafür, Parteien möglichst vielfältig aufzustellen. Der maßgebliche Antrieb dafür kommt leider nicht aus der Politik oder von Parteien selbst, sondern vielfach aus der Zivilgesellschaft.

Nun lässt ein Blick auf die beiden Frankfurter Bundestagskandidaten doch Mut zur Hoffnung zu: Armand Zorn und Kaweh Mansoori. Beide sind exponierte Politiker. Experten auf ihren jeweiligen Fachgebieten. Die Migrationsgeschichte on Top. Vorbilder für junge Menschen mit Migrationsgeschichte. Role-Models, würde es in der Pädagogik heißen. Sie zeigen jungen Menschen, dass es auch in der Politik, auch in Parteien, einen Platz für sie geben kann.

Doch – damit ist es nicht getan. Derzeit argumentieren Politiker anderer Unterbezirke, dass die Aufstellung und der Einzug von Armand und Kaweh ein Beweis dafür seien, dass die SPD gut aufgestellt ist und damit keinerlei weitere Anstrengungen mehr vornehmen müsse.

Falsch gedacht! Kaweh und Armand; Reem, Mahmut; Aydan und andere haben es nicht wegen der Strukturen in der Partei – sondern trotz dieser Strukturen geschafft. Und nun gilt es, die Partei im Ganzen inklusiv zu gestalten. Denn wirkliche Diversität bedeutet, Zugänglichkeit für verschieden Gruppen: Für Frauen mit Migrationsgeschichte, für Menschen mit Behinderungen, für Arbeiter:innen und viele mehr. Nur so kann progressive Politik gelingen – und nur das kann das Selbstverständnis einer linken und progressiven Politik sein.

Kaweh und Armand machen jetzt den Anfang – und es liegt an Ihnen und uns, diesen Weg nun konsequent weiter zu gehen. Das gilt vor allem für die kommenden Wahljahre. Davon hängt nicht zuletzt das Fortbestehen der SPD ab.

Autor: Azfar Khan