„Stadtplanung ist aufwendiger geworden“ - Mike Josef im FAZ-Interview

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Mike Josef, im Frankfurter Magistrat zuständig für Planen, Wohnen und Sport, spürt einen gesellschaftlichen Wandel bei der Stadtentwicklung. Im Gespräch sagt er auch, ob er Lust hat, für die SPD Oberbürgermeister zu werden.

 

Das Interview erschien am 14.12.2021 in der Frankfurter Allgmeine Zeitung.

Herr Josef, Sie sind seit dem Sommer Sportdezernent, zusätzlich zu Ihren bisherigen Dezernaten Planen und Wohnen. Wie gefällt es Ihnen, und warum machen Sie das?

Es gefällt mir sehr gut! Ich habe in meiner Jugend selbst Fußball gespielt und war C-Jugend-Trainer. Für mich war der Sport immer Hoffnungsschimmer und hat mir Türen geöffnet. Der Sport ist nicht nur für die Gesundheit wichtig, sondern ermöglicht auch Begegnungen und Freundschaften. Außerdem hat der Sport viele Schnittmengen mit der Planung, weil es auch um Flächennutzungen geht.

Was sind da Ihre konkreten Pläne?

Momentan spielen die Unsicherheiten eine große Rolle, mit denen die Sportvereine wegen Corona zu kämpfen haben. Einige Ehrenamtliche sind abgesprungen, Kinder und Jugendliche konnten ihrem Sport nicht nachgehen, die Vereine haben Mitglieder verloren. Deswegen ist unser erstes Ziel, den Breitensport mit seiner Vielfalt weiter zu ermöglichen. Wir informieren die Vereine kontinuierlich über die aktuellen Verordnungen. Es gilt 2 G für Sportler, 3 G für Trainer, bei den Schülern unter 18 das Testheft.

Gibt es Unmut wegen 2 G, bleiben Leute deswegen weg?

Das haben wir bislang nicht aus den Gesprächen mit den Vereinen erfahren. Aus den letzten 18, 19 Monaten wissen wir, dass Ehrenamtliche weggeblieben sind, aber vor allem aufgrund der Unsicherheit, weil es alle paar Tage andere Voraussetzungen gab. Das sind Menschen, die das aus Leidenschaft betreiben. Deshalb hoffe ich, dass wir mittelfristig Planungssicherheit bekommen. Darüber sind wir uns mit dem Land Hessen schon einig.

Als Sportdezernent treffen Sie viele Menschen. Machen Sie sich damit bekannt für eine Kandidatur als Oberbürgermeister?

Nein. Mir ist Sport, auch vor dem Hintergrund meiner Lebensgeschichte, einfach wichtig, ich will Anwalt unserer Vereine sein. Es ist für mich auch ein schöner Ausgleich zum Planungsressort.

Als Fußballer freuen Sie sich wahrscheinlich auf die EM 2024. Was ist da geplant?

Es soll eine nachhaltige Europameisterschaft werden. In Deutschland haben wir unsere Stadien schon, weil wir 2006 eine Weltmeisterschaft ausgerichtet haben. Anders als andere Länder müssen wir nichts Neues bauen. Es soll eine sehr nachhaltige EM werden: 2006 wurde der ÖPNV stark genutzt, das soll wieder so sein. Wir möchten aber auch die Fahrradanbindung zum Stadion ausweiten. Auch beim Catering und Marketing wollen wir nachhaltig sein. Vor allem wollen wir gute Gastgeber einer sicheren Europameisterschaft sein. Es wird vermutlich eine der ersten Großveranstaltungen in einer Nach-Corona-Zeit.

Viele Sportveranstaltungen sind am Wochenende. Sie haben zwei kleine Kinder. Geht das zulasten der Familienzeit?

Zwangsläufig sehe ich die Familie weniger. Ich versuche, sie im Sport auch mal mitzunehmen. Wir waren zum Eishockey bei den Löwen mit der ganzen Familie. Aber unabhängig davon ist mir wichtig, dass ich bei den Sportveranstaltungen bin, Menschen kennenlerne, Fans und Aktive – ob beim Rollstuhl-Basketball bei den Skywheelers, bei den Frauen der Eintracht oder auch bei Vereinen, die ganz überwiegend ehrenamtlich unterwegs sind.

Von den Skywheelers zu den Skyliners: Im Sport steht als Bauprojekt die Multifunktionshalle an. Kriegen die Skyliners das hin?

Wir brauchen dringend so eine Event- und Sportarena in Frankfurt, in erster Linie für unsere Sportvereine. Aber auch, um sportliche Großveranstaltungen wie Europa- und Weltmeisterschaften im Basketball, im Handball oder auch in anderen Sportarten wieder in Frankfurt zu ermöglichen. Mit dem Koalitions­vertrag haben wir den klaren Auftrag, beide Flächen zu prüfen, am Flughafen und am Kaiserlei. Ich rede mit beiden, den Skyliners am Kaiserlei und mit Fraport als Erbpachtgeber am Flughafen. Auf beiden Flächen besteht kein Baurecht. Wir brauchen am Ende eine Entscheidung von der Politik, wohin es gehen soll, und ein solides Betreiberkonzept. Die Stadt will nicht ein privates Projekt bezuschussen.

Bis wann erhoffen Sie sich eine Entscheidung?

Ich habe in diesem Punkt kein leichtes Erbe angetreten. Wir wollen jetzt prüfen, welcher Standort und welches Konzept sich am besten eignet. Das wird etwa ein Jahr lang in Anspruch nehmen. Spätestens in anderthalb Jahren muss es dann dazu eine Grundsatzentscheidung geben.

Wie schwierig ist es, in der politischen Konstellation, in der Sie inzwischen mitregieren, überhaupt noch einen Kunstrasenplatz anzulegen?

Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel in der Stadtplanung. Der Zeitgeist ist so, dass man im Außenbereich fast gar nicht mehr entwickeln möchte. Und im Innenbereich wird es auch immer schwieriger zu bauen, weil man dort in Konkurrenz zu vorhandenen Bäumen und Sträuchern kommt. Das hat Konsequenzen, zum Beispiel, dass man bestimmte Infrastruktur nicht mehr realisiert bekommt. Beispielsweise einen Kunstrasenplatz. Die Sportvereine brauchen aber diese Plätze, weil sie trotz Corona zum Glück wachsen. Die Nachfrage insbesondere von Kindern wird immer größer. Wir brauchen Infrastruktur in unserer Stadt, das ist beim Kunstrasenplatz nicht anders als bei Wohnungen. Wenn wir die Infrastruktur nicht bereitstellen, hat das Konsequenzen: Ein Sportverein kann den Kindern dann nicht die Möglichkeit bieten, dort zu spielen. Dann müssen sie woanders hingehen oder machen vielleicht gar keinen Sport. Bauen wir keine Wohnungen mehr, bedeutet das, dass sich die Situation am Wohnungsmarkt verschärfen wird, Menschen wegziehen.

Die SPD ist in Frankfurt der Juniorpartner der Grünen. Können Sie Ihre Position da überhaupt durchsetzen, oder vermissen Sie manchmal die CDU als Koalitionspartner?

So weit geht’s bei mir nicht. Die SPD stellt den Oberbürgermeister, die Kulturdezernentin, die Bau- und Schuldezernentin und den Planungsdezernenten und ist damit gut und stark aufgestellt. Die Kunst wird sein, gerade bei den strittigen Themen in der Stadtentwicklung einen Mehrwert für die gesamte Stadt zu schaffen. Wir sind nicht der Juniorpartner, alles läuft auf Augenhöhe. Das gilt für alle vier Partner in der Koalition.

Die Stadtplanung wird aber vom Grün her gedacht. Erleben wir einen grundlegenden Wandel in der Planungskultur?

Wenn man ökologisch denkt und plant, bedeutet dies, dass man die Stadtentwicklung vom Freiraum und vom öffentlichen Raum her denkt. Themen wie grüne Höfe, Grünzüge, begrünte Dächer, Wasserversickerung, Fassadenbegrünung, autoarme Quartiere spielen heute eine viel größere Rolle. Eine ökologische Stadtentwicklungspolitik bedeutet aber auch, dass sich die Stadt selbst unter den Aspekten der Klimaanpassungsstrategie weiterentwickeln muss. Der Aufwand ist höher: Der Bebauungsplan für den Frankfurter Bogen, ein Neubaugebiet mit 2000 Wohneinheiten, hatte 50 oder 60 Seiten. Heute haben wir Bebauungspläne mit 150 oder 180 Seiten, weil wir all das noch mehr mitdenken müssen.

Das Bauen wird immer komplizierter?

Die Rahmenbedingungen werden immer mehr. Das liegt auch an der Erweiterung der gesetzlichen Vorgaben zum Emissionsschutz, Arten- und Naturschutz, Beteiligungsprozessen, Normenkontrollklagen. Man muss heute noch viel stärker die sozialen Aspekte, Nachhaltigkeit und neue Mobilität mitdenken. Das führt dazu, dass es insgesamt nicht schneller gehen wird. Ich habe kürzlich gelesen, dass es beim geplanten Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark auf dänischer Seite nur 43 Einsprüche gab, auf deutscher Seite aber 12 600. Das zeigt sehr deutlich, dass es einen gesellschaftlichen Wandel gibt und wir natürlich in der Stadtplanung darauf reagieren müssen.

Ist das nicht frustrierend?

Ich halte es für herausfordernd. Stadtplanung ist aufwendiger geworden. Trotzdem sind wir beim Bau neuer Wohnungen in der Republik Spitzenreiter, das ist ein hartes Stück Arbeit. Als ich Planungsdezernent geworden bin, habe ich gedacht, ich muss ein Sprinter sein. Aber man muss ein Marathonläufer sein. Man kann nicht Arbeitsplätze ohne Wohngebiete schaffen. Damit würde man nur für mehr Autos sorgen, die in die Stadt fahren. Eine Stadt der kurzen Wege mit bezahlbarem Wohnraum ist sozial und ökologisch am sinnvollsten. Und übrigens auch ein wichtiger Beitrag für den Klimaschutz.

Zum Image der Stadt gehört die Skyline. Wie wichtig ist es, mit dem neuen Hochhausrahmenplan ein Angebot zu machen, damit sich die Skyline vernünftig weiterentwickeln kann?

Wir haben derzeit 18 Hochhäuser, für die Planungsrecht besteht oder die im Bau sind. Aus den alten Rahmenplänen haben wir zusätzlich noch einige Reserven. Das genügt, um die Nachfrage bis Anfang der Dreißigerjahre zu decken. Aber der neue Hochhausrahmenplan wird kommen und im Frühjahr hoffentlich auch öffentlich werden. Die ökologische Nachhaltigkeit und der Städtebau werden darin eine größere Rolle spielen. Ich rechne mit zehn oder zwölf Standorten für neue Hochhäuser. Vor allem der Bereich rund um die Wallanlagen wird ein Schwerpunkt sein.

Wenn es ohnehin schon so schwierig ist, überhaupt noch zu bauen – wie sinnvoll ist es dann, es mit dem Baulandbeschluss noch schwieriger zu machen?

Ich halte den Baulandbeschluss für absolut richtig, um eine sozial-ökologische Stadtentwicklung zu ermöglichen, die auch Akzeptanz bei den Menschen findet. Der Baulandbeschluss regelt eine kooperative sozial gerechte Verfahrensweise. Kooperative Verfahren bei der Ausweisung von Bauland sind immer sinnvoller als polarisierende Enteignungsdebatten wie in Berlin. Mit klaren Vorgaben können wir den Belangen des Klimaschutzes und des sozialen Wohnungsbaus gerecht werden. Wenn eine Stadt durch die Schaffung von Baurecht für private Eigentümer hohe Gewinne erzeugt, kann sie auch mit Fug und Recht einfordern, dass ein Teil dieses Gewinns der Allgemeinheit zugutekommt. Bis zu zwei Drittel des durch die Stadt ermöglichten Gewinns werden für sozialen Wohnungsbau, soziale Infrastruktur und Begrünung der jeweiligen Gebiete verwendet. Dazu stehe ich.

Viele Bauherren behaupten, dass Sie wegen des Baulandbeschlusses einen Bogen um die Stadt machen. Ist das spürbar?

Nein. Es braucht Zeit, bis der Baulandbeschluss wirkt. Dass es in einem Markt wie Frankfurt keine Nachfrage mehr für den privaten Wohnungsbau gibt, ist jetzt nicht so und kann ich mir auch nicht vorstellen. Wir verhandeln derzeit mit mehreren privaten Bauherren.

Sie sind nicht nur Dezernent, sondern auch Parteichef. Während Sie in der Kommunalwahl im März mit der SPD nur 17 Prozent holten, lag die Partei in Frankfurt in der Bundestagswahl im September wieder deutlich über 20 Prozent. Inwieweit erreicht die SPD Frankfurt überhaupt die Frankfurter?

Bei der Bundestagswahl gut, bei der Kommunalwahl etwas weniger.

Woran liegt das? Am Bundestrend?

Auch, aber nicht nur. Die Zusammenarbeit in der alten Koalition war schwierig, weil es zu viel Selbstbeschäftigung gab. Daraus haben wir gelernt: Wir sind nach der Kommunalwahl geschlossen in die Bundestagswahl gegangen und in die Koalitionsverhandlungen. Wir müssen stärker als andere Parteien immer wieder um die Wählerinnen und Wähler kämpfen, auch in Frankfurt. Wir haben uns wieder gefangen, mit zwei gewählten Bundestagsabgeordneten, die die Vielfalt der Stadt und durch ihre Berufe auch Themen wie Digitalisierung und soziale Gerechtigkeit wiedergeben. Das ist wichtig auch als Vorbildfunktion.

Sie wollten die SPD Frankfurt umbauen, sie migrantischer, jünger, weiblicher machen. Auf die neuen Bundestagsabgeordneten Armand Zorn und Kaweh Mansoori treffen zwei der drei Kategorien zu. Ist es noch schwieriger, Frauen an die SPD zu binden als Frankfurter mit Migrationsgeschichte und junge Männer?

Nein, das werden wir auch bei der Landtagswahl klarmachen, da wird es klar pari-pari geben. Die Besetzung des Unterbezirksvorstands und die Stadtverordnetenliste zeigen das ebenfalls. Gerade junge Frauen, die jetzt Mitglied werden, wollen sich engagieren. Aber wir wollen noch weitermachen. Eine Partei ist wie eine Stadt nie zu Ende gebaut.

Seit dem Sommer haben Sie zwei neue Stellvertreter als Parteivorsitzender: Kulturdezernentin Ina Hartwig und Kolja Müller, der vorher hier bei Ihnen im Dezernat gearbeitet hat. Was hat sich im Vergleich zum alten Vorstand mit Oliver Strank und Sylvia Kunze geändert?

Die Zusammenarbeit mit jedem hat gewisse Stärken. Ina Hartwig ist erst 2016 in die Politik eingestiegen, macht das jetzt nicht nur auf Magistrats-, sondern auch auf Parteiebene.

Warum arbeiten Sie jetzt auch in der Partei so eng zusammen?

Es ergänzt sich gut, weil Ina Hartwig konzeptionell-inhaltlich für die Partei auch in der Kulturpolitik gut ist. Sie deckt einen Bereich ab, Schauspiel, Oper, die Bühnen, wo die SPD als Volkspartei auch Zugänge haben muss und will. Wir decken von Wirtschaft über Ökologie, Bildung und Kultur bis Soziales alle Themen der Stadt ab. Kolja Müller ist super vernetzt, nicht nur in der Partei, sondern auch außerhalb, und stärkt die Arbeit in die Ortsvereine.

Dann wären doch beide prädestiniert, Ihnen im Parteivorsitz zu folgen, wenn Sie als Oberbürgermeister kandidieren. Oder macht es doch noch mal Peter Feldmann?

Der Oberbürgermeister hat in Ihrer Zeitung gesagt, dass er sich erst 2023 entscheiden will. Ich finde das richtig und respektiere es. Wir haben jetzt eineinhalb Jahre, in denen keine Wahl stattfindet und wir inhaltlich arbeiten können. Wir haben viel vor.

Wird es einer von Ihnen beiden?

In der Politik ist immer alles möglich.

Haben Sie denn überhaupt Lust, Oberbürgermeister zu werden?

Wer im Magistrat der Stadt ist und diese mit Herzblut gestaltet, sollte definitiv auch Lust haben auf ein solches Amt.

Die Fragen stellten Florentine Fritzen und Rainer Schulze.