Zeitenwende

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Russland hat die Europäische Friedensordnung zerstört. Die Debatte über die Folgen ist in vollem Gange und wir müssen sozialdemokratische Antworten diskutieren. Wie reagiert Europa, kommt eine neue Aufrüstungsspirale in Gang oder finden wir zu einer neuen außenpolitischen Ethik? Ein Diskussionsbeitrag.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Welt in letzter Zeit wandelt, ist rasend. Wir sind noch gebrannt von zwei Jahren Pandemie und hatten auf „Normalität“ gehofft. Wohlgemerkt, europäische Normalität, nicht die von Afghanistan, Mali oder auch Aleppo.

Der blutige Angriffskrieg Putins und der russischen Armee auf die Ukraine verändert unseren Kontinent. Der erste große Angriffskrieg seit dem zweiten Weltkrieg hat die Friedensordnung Europas zerstört. Millionen Ukrainerinnen sind auf der Flucht oder leben Angst um ihr eigenes Leben oder das Ihrer Verwandten und Freunde.

Das Vertrauen zu Moskau, dass seit der Brandt’schen Ostpolitik mit der Sowjetunion und den Einigungsverträgen mit Gorbatschow und in den Jahren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durch Rechtsnachfolger der UDSSR, Russland, aufgebaut wurde, ist schwer erschüttert. Uns stellen sich jetzt viele Fragen.

  • Was geschieht jetzt mit den Ukrainerinnen und Ukrainern? Und mit Ihrem Land.
  • Bombt Putin Kiew in ein neues Grozny, ein neues Aleppo?
  • Müssen wir in die Ukraine Waffen schicken, oder Verbandsmaterial und Ärzte?
  • Oder kann der Krieg irgendwie doch beendet werden?
  • Hätten wir die Eskalation womöglich verhindern können?
  • Haben Kriege wie der Einmarsch der USA in den Irak das Verhältnis zu Russland ausgehöhlt oder sind das nur die Rechtfertigungen eines Kriegstreibers?
  • Und wie geht es weiter? Viele Europäer fürchten sich, wir der Krieg bald zu uns kommen?
  • Müssen wir jetzt aufrüsten, abschrecken und Stärke zeigen?

Die Debatte über die Konsequenzen von Putins Angriffskrieg hat begonnen. Als Zeitenwende wird die Nachrüstung von 100 Milliarden bezeichnet, die im Bundestag durch den Kanzler vorgeschlagen wurden.

Wir alle haben Olaf und die gesamte Bundesregierung in den Bemühungen, darauf einzuwirken, Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu stoppen unterstützt. Richtig ist auch, dass die NATO-Partner jetzt unseren Beistand und Schutz vor Putin brauchen und wir alle werden diesen Teil des Kurses gern weitergehen. Denn von den bisher beispielslosen und richtigen Sanktionen zeigt sich Russland bislang unbeeindruckt.

Aber das 100 Milliarden Programm und das 2% Ziel wirft weitere Fragen auf, die wir beantworten müssen. Brauchen wir eine Garantie für mehr Rüstung im Grundgesetz oder sollte man nicht lieber die Schuldenbremse über Bord werfen?

Wird es einen Parlamentsvorbehalt geben? Nicht eine Regierung, sondern die gewählten Abgeordneten sollten über Steuergelder entscheiden. Denn das Fundament der Demokratie, die Parlamente zu stärken, das muss doch das Ziel einer freiheitlichen Demokratie sein grade in dunklen Zeiten in denen Diktatoren die Freiheit bedrohen,

Und die Frage, die viele Menschen sich stellen aber wenige aussprechen:

Schafft Aufrüstung Frieden? In der Friedensbewegung glaubt man einfach nicht daran, dass viel mehr Waffen mehr Frieden schaffen. Druck auf der Straße, hier aber vor allem auch in Moskau, das könnte etwas bringen. Verhandlungen, Verständigung das bringt Frieden. Diplomatie darf man nicht mit Schwäche verwechseln. Im Kalten Krieg war Deutschland und der Westen hochgerüstet. Die deutsche Grundlinie war sich militärisch zurückzuhalten, lieber zu reden als mit Militär zu intervenieren.

Der gute Ruf, den sich Deutschland dadurch in der Welt erarbeitet hat nach den Verbrechen der Nazi Zeit hat wesentlich zu Aussöhnung mit Europa beigetragen. Erst mit den Westeuropäern und damit der Gründung der europäischen Union. Die Ostpolitik von Willy Brandt war nur deshalb möglich und leitete eine erste Entspannungsphase ein. Auch die deutsche Einigung war nur möglich, weil Deutschland glaubwürdig versichern konnte die Wiedervereinigung nicht für Machtinteressen auszunutzen. Die pazifistische Grundhaltung ermöglichte es auch Ländern wie Polen oder dem Baltikum sich ohne Sorgen vor einer deutschen Dominanz der EU anzuschließen.

Die Vorteile einer pazifistischen, nicht interventionistischen Sicherheitspolitik darf man also nicht unterschätzen. Das heißt nicht, dass wir wie die Linkspartei Bundeswehr und Nato ablehnen sollten. Bündnistreue, Katastrophenschutz oder auch UN-Missionen brauchen eine funktionierende deutsche Armee.

Wir brauchen deshalb eine Bundeswehrreform. Die Bundeswehr ist heute eine der teuersten Armeen der Welt. Mit bisher 60 Milliarden Euro jährlich geben wir mehr Geld aus als die Militär- und Atommacht Frankreich, fast so viel wie Großbritannien und doch klappt vieles sehr schlecht. Die Bundeswehr ist runtergewirtschaftet, es gibt ein großes Problem mit rechtsextremen Strukturen in der Truppe, Fahrzeuge und Flugzeuge fliegen nicht, es gibt nicht mal Schutzwesten, dafür aber Korruption bei der Beschaffung und die Arbeitsbedingungen sind so mies, dass man nicht genug Freiwillige findet. Das Missmanagement, die Korruption (nicht nur unser Altkanzlei hatte „falsche Freunde“, Helmut Kohl kassierte jahrelang Gelder der Waffenlobby) des meist CDU geführten Verteidigungsministeriums sind haarsträubend und es ist kaum möglich die gestellten Aufgaben zu meistern.

Es ist dasselbe Bild wie bei den Brücken, die wie in Wiesbaden bröckelt, den maroden Schulen, die wir hier in Frankfurt mühsam wiederaufbauen oder in der Gesundheitspolitik nicht nur während Corona. Trotz großer Geldmittel scheitert Deutschland an der Umsetzung staatlicher Aufgaben. Die Probleme der Bundeswehr lassen sich nicht bloß mit mehr Geld lösen. Genauso wenig wird mehr Geld den Krieg in der Ukraine beenden.

Man kann eine Zeitenwende auch anders verstehen. Dass wir völkerrechtswidrige Interventionen immer verurteilen, egal wo sie stattfinden. Indem wir die Bundeswehr reformieren und instandsetzen, ohne die Drittteuerste Armee der Welt zu finanzieren, zu der uns der 100 Milliarden/ 2 % Militäretat macht. Indem wir auch bei der Handels- und Wirtschaftspolitik ethische Maßstände ansetzen und damit aufhören die Diktaturen dieser Welt mit deutscher Waffenexporten hochzurüsten.

Und vergessen wir vor allen Dingen nicht unsere humanitäre Verantwortung. Spenden wir Trost und Hoffnung. Begrüßen wir die Geflüchteten, nehmen Sie bei uns auf und unternehmen wir alles, um diesen Krieg und das Leiden zu beenden.

Lino Leudesdorff